Wenn ich nackt vor dir stehe

©Gertraud Schnabel

Wenn ich nackt vor dir stehe und du mich mit den Augen betrachtest, schweigend wie immer, dann zeigst du mir alles, wie es ist, ohne Wertung deinerseits und doch…

Und doch zeigst du mir, was ich bin, wie ich fühle, schonungslos ehrlich und doch so unendlich verlogen!

In deinen Augen erkenne ich die Reinheit meiner Seele, diese unendliche Güte, mit der du mir zeigen kannst, wie schön ich bin, wie meine Augen dir zeigen, dass mein Lachen von innen kommt, mein ganzes Wesen dich erfreut!

Und doch sind dann wieder diese Momente wo du mich gnadenlos in die tiefste Hölle wirfst, dieser schonungslose Blick, jedes Detail betrachtend, verurteilend, bewertend, wie es nur dir möglich ist zu tun! Wobei es ja nicht wirklich du bist, es sind meine Gedanken über mich, sie sind in meinem Kopf verankert! Ich interpretiere, was du mir zeigst, ich interpretiere es nach meinem Empfinden über mich, so wie ich mich fühle in diesem Moment, denn du tust gar nichts! 

Bist nur da, neutral, stehst mir zur Verfügung, geduldig und lässt mir den Spielraum, in mir zu erkennen, was auch immer ich erkennen möchte! Die Einzigartigkeit meines Wesens, oder die pure Vernichtung meines verurteilenden Denkens über mich selbst! Du lässt mir die Wahl, in jedem Augenblick, schonungslos! Du schweigst, du hilfst mir nicht aus meiner Qual meines eigenen Denkens und du machst mich nicht weniger, wenn ich mich gut fühle! 

Je älter ich werde, je länger wir zusammen durchs Leben gehen, desto mehr lernst du mir, gnädig mit mir selbst zu sein! Mich anzunehmen, wie ich bin, wenn ich nackt vor dir stehe, gibst du mir die Zeit, zu erkennen, dass nur ich es bin, der mit sich im Reinen sein muss, um Frieden zu spüren, Frieden mit mir! Dann ist auch Friede mit dir!

Je länger ich mit dir lebe, desto weniger Macht gebe ich dir über mich! Ich habe aufgehört, mich dir entziehen  und akzeptiert, dass du da bist, obwohl es ja von Anfang an meine freie Wahl war, dich in meine Nähe zu bringen, da ich ja wusste, du wirst mir alles über mich zeigen, was ich über mich denke! 

Mein Spiegel – mein Freund – meine Feind, Aufzeiger der Polarität! Ich werde dich nicht abmontieren, ich werde dir nur den Platz zuweisen, der dir gebührt! Ich werde anerkennen, dass du mir nur spiegelst, was ich denke! Du bist nur da, um meine Gedanken über mich sichtbar zu machen! Ich lächle dir zu und bedanke mich bei dir! Friede sei mit mir!

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